Diesen Text begann ich vor einigen Wochen, doch verspürte das Bedürfnis, das was ich schreiben möchte noch ein wenig liegen zu lassen, da es doch sehr persönlich ist und ich es als die aktuell größte Baustelle in meinem Selbstverständnis erkannt habe.
Ich vermute, einen Teil meines bisherigen Lebens damit verbracht zu haben, die Einsamkeit zu suchen. Nicht vorsätzlich, doch schien es sich durch mein bisheriges Dasein zu ziehen, das Alleinsein gegenüber sozialen Interaktionen zu bevorzugen.
Am eher introvertierten Ende der Skala angesiedelt zu sein, bringt viel des Erfahrens über einen selbst mit sich, worauf ich definitiv zu sprechen kommen möchte. Durch das Meiden sozialer Interaktionen verlernen wir jedoch auch wesentliche Aspekte die uns Mensch sein lassen. Es ist ein Kampf gegen uns selbst, doch ich gebe mein Bestes, Menschen denen ich wichtig bin an mir teilhaben zu lassen und ihnen damit zu vertrauen. Ich glaube, unterbewusst war dies schon immer der Hintergrund dieser Blogs.
Bis heute habe ich Schwierigkeiten damit, in Gruppen den Mund aufzumachen. Ich habe noch nicht ganz entschlüsselt, woher diese Abneigung gegenüber dem von mir Gesagten kommt. Ich fühle mich jedoch manchmal, als stünde ich vor einer unüberwindbaren Mauer, die es mir verbietet, mich ungezwungen im Gespräch mit mehreren Menschen mitzuteilen. Häufig schaltet mein Gehirn dann in einen Modus, der kontinuierlich auf die Analyse meiner Außenwelt gerichtet ist: wie kommt das von mir Gesagte bei anderen an, interessiert das hier überhaupt irgendwen und vor allem: was denken die Leute in diesem Moment von mir?
Die Psychologie erklärt uns immer wieder, dass andere Menschen genauso sehr mit sich selbst beschäftigt sind, wie wir und wir nicht ansatzweise so viel fremdanalysiert werden, wie wir uns einreden.
Dennoch habe ich für mich noch nicht so richtig einen Schlüssel gefunden, in diesen Situationen mehr bei mir selbst zu sein und mich einfach auf das Gespräch einzulassen – ohne die Sorge, was von mir gedacht wird, oder ob ich meine Mitmenschen langweile.
Es ist paradox, dass es mir schon immer gefiel, Vorträge zu halten, also vor statt in Gruppen zu sprechen und ich mich im Endeffekt für ein Studium im Lehramt entschied. In den vergangenen Wochen habe ich seit längerer Zeit mal wieder ein Mikrofon in der Hand gehabt, zu einem vollen Hörsaal gesprochen und mich dabei gut und unbeschwert gefühlt. Ich bin etwas verwirrt darüber, was mir in diesen Momenten (wenn die Audienz mehr oder weniger gezwungen ist, mir zuzuhören) das Gefühl gibt, dass ich doch vielleicht ab und zu Dinge zu sagen habe. Also, dass ich etwas beizusteuern habe, das für andere wertvoll oder interessant sein könnte. Dennoch, in ungezwungenen Gesprächssituationen zieht es mich an dunkle Orte in meinem Kopf, in denen ich mir selbst das Gefühl gebe, meine bloße Existenz im Gespräch könnte andere langweilen.
Dadurch hatte sich bis vor noch nicht allzu langer Zeit eine tendenziell eher neurotische Verhaltensweise in mir etabliert, bei der ich die Einsamkeit suche.
Beim Verfassen dieses Textes stieß ich auf ein interessantes linguistisches Phänomen. Die englische Übersetzung des Wortes Einsamkeit zu Solitude ist schon fast esoterisch konnotiert und beschreibt den Zustand des Alleinseins – oft gewollt – der dem Individuum die Selbstreflexion ermöglicht. Ich persönlich finde, das Wort Solitude geht wundervoll über die Lippen und suggeriert eben jenes, tiefes Kontemplieren, um mehr über einen selbst zu lernen. Nicht umsonst ist es die „Fortress of Solitude“, in der Superman sich mit seiner wahren Identität, Herkunft und der Bestimmung seines Daseins auf der Erde auseinandersetzt.
Zu Deutsch klingt das Wort Einsamkeit aber eher nach antisozialem Verhalten, das psychische Engpässe zur Folge hat. Der Duden listet Verzweiflung, unendlich, ertragen, Isolation, Leiden etc. als typische Verbindungen zum Wort. Einsamkeit macht krank und kaputt – das klingt alles schon gar nicht mehr so schön nach ausgiebiger, nahezu philosophischer Reflexion des eigenen Lebens.
Ich habe für mich selbst gelernt, Alleinsein klar von Einsamkeit unterscheiden zu müssen und achtsamer zu werden, wenn ich das Gefühl habe, mich zu sehr von zwischenmenschlicher Nähe fernzuhalten. Ich versuche in meinem Leben und in diesem Text die Brücke zu spannen zwischen der Bereicherung, die ich erfahre, wenn ich es mir gestatte, Zeit für mich selbst einzuräumen und dem Vermeiden des Verlustes sozialer Nähe.
Eine kurze Ode auf das Alleinsein: den eigenen Gedanken den Raum zu geben, den sie brauchen um sich zu entfalten, hat nichts mit Isolation zu tun. Es geht vielmehr um die temporäre Abwesenheit des Einflusses der Ideen und Meinungen anderer Personen. Die allseits gern genutzte Formulierung des sich-mit-sich-selbst-auseinandersetzens gestattet uns, eigene Ideen und Wertevorstellungen reifen zu lassen, ohne immer abzugleichen, wie das Andere sehen könnten. Mit diesem neuen Wissen kann ich danach wieder in die Welt hinausgehen und versuchen, einen Konsens zu finden, zwischen dem was mich und andere beschäftigt und inspiriert.
Vor kurzem bekam ich den interessanten Gedankenanstoß, dass unsere individuelle menschliche Entwicklung in erster Linie von unserem Selbstverständnis geprägt ist, also dem Wissen, wer wir sind und was wir zu der Welt um uns herum beitragen können. Ich glaube zudem, das aktive Suchen der Zeit mit uns selbst, in der wir mal Podcasts, Bücher, Musik und sonstige mediale Reize weglassen, sehr zu diesem Selbstverständnis beitragen kann.
Ich genieße es, allein Zeit zu verbringen, doch gebe mir große Mühe, daraus keine Vereinsamung resultieren zu lassen. Das Schlimmste ist wohl, von Menschen umgeben zu sein und sich trotzdem einsam zu fühlen.
Wie lösen wir diese Spannung also auf? Nun, die ultimative Lösung habe ich sicher auch nicht. Aber ich versuche in diesen Texten zu teilen, was für mich persönlich funktioniert.
Weniger Zeit allein bzw. in Einsamkeit verbringen: Alleinsein ist wundervoll und kann einen Zweck im Leben erfüllen. Tendenziell introvertiertere Menschen brauchen diese Zeit um ihre Batterien wieder aufzuladen, während Menschen der extrovertierteren Sorte die Erholung im sozialen Umfeld suchen. Beide Bedürfnisse haben ihre Berechtigung, nur sollten wir uns darüber bewusst sein, zu welcher Seite wir tendieren. Ich glaube, besondere Achtsamkeit ist geboten, wenn das Alleinsein in Einsamkeit umschlägt und wir uns vor unseren Mitmenschen verschließen. Ich gehe mittlerweile aktiver auf meine Freunde und Familienmitglieder zu, um gemeinsam Zeit zu verbringen.
Den Mut haben, die eigenen Gedanken zu teilen: Sich nach außen auszudrücken tut weh, es ist anstrengend und konfrontiert das eigene Ego damit, sich verwundbar zu machen und gegebenenfalls als Angriffsfläche für Belustigungen zu gelten. Auch wenn es hart ist, erkenne ich einen großen Mehrwert darin, mir Mühe zu geben, meine Gedanken zu strukturieren und hier zu teilen. Außerdem konzentriere ich mich darauf, auch in meinem Alltag mehr von mir preiszugeben, auch auf die Gefahr hin, verletzt und missverstanden zu werden. Ich merke dadurch Stück für Stück ein kleines Abrücken davon, die eigenen Gedanken in absoluter Isolation bearbeiten zu wollen.
Noch einmal: Alleinsein ist wundervoll. Ich selbst fühle mich darin meist sehr gut und ich bin der Meinung, dass auch andere Menschen mehr davon profitieren könnten. Doch die Zeit ohne den Einfluss Anderer sollte sich im Rahmen halten. Das Teilen der eigenen Person kann eine einzigartige neue Welt des Selbstverständnisses eröffnen und zum Fundament eines zufriedenen Lebens beitragen.