Ich bin nicht sonderlich stolz auf die Erfahrung, einmal in meinem Leben beim Ladendiebstahl erwischt worden zu sein. Und das im wirklich unangenehmen Alter von 23 Jahren, etwas mehr als drei Jahre her. Vielleicht wäre es mir weniger peinlich, wäre dies in jüngeren Jahren passiert und ich könnte es als dummen Jugendstreich verkaufen. Im Endeffekt kamen 100€ Strafe und drei Monate Hausverbot auf mich zu – kein Vermerk im Führungszeugnis. Mich mit dem moralischen Vergehen auseinanderzusetzen tat allerdings wesentlich mehr weh.
Auch heute führe ich mit Freunden ab und zu eine Unterhaltung darüber, wie okay Klauen ist. Der gängigste Konsens scheint zu sein: nicht bei der Privatperson, beim Konzern ist aber kein Problem. Sicher habe ich das auch vor mir mal so gerechtfertigt – es nimmt ja niemand persönlich Schaden und kein im Laden arbeitender Mensch wird die eigenen Kinder nicht ernähren können, weil ich Diebesgut – eine Packung Knacker und zwei Bananen – im Gegenwert von 3,29€ entwenden wollte (ja es schmerzt, so einen Quatsch vor mir selbst zugeben zu müssen – ob ich damals nach dem Adrenalinkick oder was auch immer gesucht habe, weiß ich nicht). Ich glaube, wir schaden tatsächlich auch weder dem Unternehmen, noch den Menschen, die dort arbeiten – wir schaden ausschließlich uns selbst.
Ich meine, Unehrlichkeit in unser Leben zu integrieren, in welcher Form auch immer, hat weitreichende Folgen, deren wir uns im Moment der Lügens, Klauens oder unmoralischen Verhaltens überhaupt nicht bewusst sind. Klar, unmittelbar wird niemand verletzt und die Welt sicher nicht automatisch zu einem schlechteren Ort. Doch mit jeder noch so kleinen Handlung säen wir einen Samen, der unsere Verhaltensweisen in der näheren oder entfernteren Zukunft maßgeblich beeinflusst. Der Akt des Stehlens als solcher manifestiert in uns Unehrlichkeit anderen und vor allem uns selbst gegenüber. Zweiteres ist wohl das Schlimmste, da wir mit zunehmendem Ablehnen von Ehrlichkeit vor uns selbst auch Respekt vor der eigenen Person verlieren, der wir dann nicht mehr vertrauen können.
Den Gedanken der bedingungslosen Ehrlichkeit vor uns selbst und Authentizität der eigenen Person gegenüber trage ich bereits eine Weile mit mir herum. Vor allem denke ich darüber im Zusammenhang mit dem Vertrauen in meine eigene Intuition nach.
Oft stehen wir vor Entscheidungen, bei welcher kein Pfad so der richtige sein mag – also müssen wir auf die Intuition vertrauen. Sie verfolgt dabei keine Logik und läuft unterbewusst ab – irgendwie schon fast seltsam, sich als rationaler Mensch auf so etwas verlassen zu wollen. Doch wir sind mit ihr vertraut, als ein starkes Gefühl, das uns in eine bestimmte Richtung lenkt- wir können es nicht erklären, aber es ist die einzig sinnvolle Orientierung.
Ich habe vor ein paar Jahren Malcolm Gladwells „Blink“ gelesen, damals jedoch leider noch nicht kontinuierlich genug Buchzusammenfassungen geschrieben, weshalb mir der Inhalt teilweise entfallen ist. Grundsätzlich geht es jedoch genau darum: wir werden mit einer Situation konfrontiert und wissen eigentlich innerhalb des Bruchteils einer Sekunde (also innerhalb eines blinks bzw. eines Blinzelns) unterbewusst meist, wie zu handeln ist – wir treffen also die intuitiv richtige Entscheidung, auch wenn sie rational nicht unbedingt belegbar und oft für andere Menschen nicht ersichtlich ist. Aber das ist ja egal, geht schließlich um uns. Wir entscheiden mit dem Herz statt mit dem Kopf – um mal wieder etwas poetisch zu werden.
Je näher wir uns stehen, desto intensiver können wir in unsere Intuition einfühlen. Gladwell beschreibt, dass die Fähigkeit, intuitiv die für uns sinnvollste Entscheidung zu treffen, trainiert werden kann. Von dieser Idee halte ich persönlich viel und mutmaße, dass in erster Linie ein Vertrauen in uns selbst vorauszusetzen ist, das durch möglichst viel authentische Ehrlichkeit vor der eigenen Person kultiviert werden kann. Jordan Peterson sagt dazu: „Wenn du das Lügen praktizierst, pathologisierst du deine eigenen Instinkte.“
Sicher ist es leichter gesagt als getan, sich selbst nicht zu belügen. Wir kennen die Faustregel des 25 Mal am Tag Lügens (also auch sowas wie „Guten Morgen“, wenn es gar nicht so gemeint ist, oder Notlügen). Manche Forschungen sprechen sogar von 200 Mal am Tag. Was auch immer das bedeuten mag – aber darauf beziehe ich mich gar nicht. Ich meine, grenzenlose Ehrlichkeit vor sich selbst. Sich nicht einzureden, dass Dinge gut für uns sind, nur weil es vielleicht gerade am bequemsten ist.
Meist tut es weh, sich wirklich ehrlich in die Augen zu schauen und die Frage zu stellen, ob man sich selbst verarscht. Dann ist die Antwort wohl oft ja, auch wenn das sehr schmerzt, aber uns langfristig zugute kommt. Ich glaube, bedingungslose Ehrlichkeit zu uns selbst nimmt uns aber auch irgendwie den Druck das Richtige tun zu wollen – denn wir vertrauen uns ja und können uns somit auch gewiss sein, dass die schwerste Entscheidung meist die richtige ist.
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